Mein Vater und ich hatten immer eine ganz besondere Verbindung. Schon als Kind hatte ich diese tiefe Angst, dass das Schlimmste, was mir im Leben passieren könnte, der Tod meines Vaters wäre.
Vor etwa zehn Jahren, kurz vor meinem 28. Geburtstag, wurde diese Angst plötzlich Realität. Mein Vater erlitt einen schweren Schlaganfall und fand sich kurz danach im künstlichen Koma wieder, an lebenserhaltenden Maschinen angeschlossen.
Als ich ihn im Koma liegen sah, wusste ich sofort, dass sein Körper nur noch eine Hülle war – seine Seele war nicht mehr da. Doch obwohl er eine Patientenverfügung hatte, wurde der Prozess unnötig in die Länge gezogen. Wir verlangten nach einer unverzüglichen Abschaltung der Maschinen, doch die Ärzte waren sichtlich schockiert von dieser raschen Entscheidung und ließen immer wieder durchblicken, dass er vielleicht doch aufwachen könnte, obwohl mehrfache Versuche, ihn aus dem Koma zu holen, bereits scheiterten.
Dennoch nisteten sich Zweifel, Unsicherheit und Schuldgefühle ein. Tue ich wirklich das Richtige? Will er wirklich nicht mehr leben? Ist er wirklich nur noch diese leblose Hülle? Was, wenn ich mich täusche? Aber tief in mir wusste ich, dass es das einzig Richtige war. Der letzte Gefallen, den ich ihm jetzt noch bereiten konnte. Nach ein paar Wochen im Koma wurden die Maschinen endlich abgestellt.
Meine erste Mexikoreise
Schon so lange träumte ich von einer Reise nach Mexiko, aber es war erst der Tod meines Vaters, der mich schließlich dazu brachte, diesen Traum endlich zu verwirklichen. Nach anderthalb Jahren mit einer tiefen Leere in meinem Herzen trat ich nun eine zweimonatige Reise nach Mexiko an.
Es war keine leichte Entscheidung, da vor allem meine Mutter sich anfangs sehr alleingelassen fühlte nach dem Verlust ihres Mannes und daher eine riesen Angst hatte, dass mir in der Ferne etwas passieren könnte. Es fiel ihr sichtlich schwer, mich gehen zu lassen. Doch ich wusste, dass ich diese Reise brauchte, um wieder zu mir selbst zu finden.
Wie das Leben so spielt, lernte ich auf meiner Mexikoreise nicht nur mich selbst besser kennen, sondern fand auch einen Grund, direkt auszuwandern. Anderthalb Jahre später drehte ich Deutschland den Rücken zu und heiratete einen Mexikaner.
Dieser Schritt markierte einen entscheidenden Wendepunkt in meinem Leben – plötzlich fand ich mich am anderen Ende der Welt wieder und konnte mich komplett neu erfinden. Nach drei Jahren endete die Ehe und ich stand plötzlich völlig allein da. Doch zurück nach Deutschland wollte ich nicht, also biss ich mich durch und kreierte mir nach und nach das freie und erfüllte Leben, was ich jetzt führen darf!
In Mexiko angekommen, erlebte ich zum ersten Mal den Dia de Muertos, den Tag der Toten. Anfangs ein sehr skurriles Fest für mich, was ich aber vor allem hier in Oaxaca mit den Jahren sehr zu lieben gelernt habe. Beim Tag der Toten wird das Leben gefeiert. Die Verstorbenen werden geehrt und es wird sich an sie erinnert. Eine wunderschöne Tradition, die mich wieder näher zu meinem Vater brachte und mir dabei half, seinen Tod besser zu verarbeiten und auch zu akzeptieren.
In Mexiko ist der Tod allgegenwärtig. Die Menschen sprechen offen und humorvoll über ihre verstorbenen Angehörigen, machen Witze, und erinnern sich ständig an sie – als wären sie nie wirklich gegangen. Ein erfrischend anderer Umgang mit dem Tod, als den, den ich aus Deutschland kannte.
Nicht nur durch die kulturelle und spirituelle Praxis ist der Tod fester Bestandteil im mexikanischen Alltag, sondern auch aufgrund der harten Realitäten des Lebens. Ich habe in den letzten Jahren Schießereien gesehen, Leichen auf der Straße nach Autounfällen, und jede Menge Ungerechtigkeit in einem korrupten System. Der Tod scheint hier viel näher.
Je mehr ich selbst mit dem Thema Tod konfrontiert werde – in welcher Art auch immer – desto weniger fürchte ich ihn. Er bedeutet nicht das Ende, sondern lediglich Transformation. Ich lernte, ihn als natürlichen Teil des Lebens anzunehmen und zu akzeptieren und somit das Leben viel mehr zu schätzen und mich auf die wirklich wichtigen Dinge, wie meine Gesundheit und meine Freude, zu konzentrieren.
Der Tod sollte kein Tabuthema sein!
Der Verlust meines Vaters und die Umstände seines Todes hinterließen eine tiefe Trauer, die ich jahrelang unbewusst unterdrückt hatte. Stets tat ich so, als hätte ich es verkraftet und sei darüber hinweg. Keine ungewöhnliche Reaktion in einer Gesellschaft, die den Tod zum Tabuthema macht.
Aber in Mexiko wurde mir klar, dass ich diese Gefühle nie wirklich rauslassen konnte. Erst durch den offenen Umgang mit dem Tod in Mexiko entstand dieser Raum, in dem ich bewusst weinen, lachen und in Erinnerungen schwelgen konnte.
Ich durfte selbst erfahren, wie heilsam es ist, sich all diesen Gefühlen zu stellen und die Verbindung zu den Verstorbenen bewusst zu pflegen.
Durch die Rituale, wie das Aufstellen eines Fotos von ihm auf dem Altar, begann ich, meinen Vater wieder zu spüren – nicht als Abwesenheit, sondern als eine ständige Präsenz in meinem Leben. Diese Praxis hat mich nicht nur geheilt, sondern auch meine Angst vor dem Tod verringert und mir ermöglicht, das Leben in all seinen Facetten wertzuschätzen.
Genau aus diesem Grund habe ich den Kurs “Freundschaft mit dem Tod schließen” kreiert. Ich möchte dir die mexikanischen Traditionen näherbringen und zeigen, wie du dich bewusst mit deinen Verstorbenen verbinden kannst, warum Rituale so wichtig sind und wie sie dir helfen können, eine positive Einstellung zum Tod zu entwickeln. Denn wenn wir die Angst vor dem Tod verlieren, können wir das Leben in seiner ganzen Fülle annehmen und jeden Tag bewusster und erfüllter leben.
Auf das Leben,