In meiner Serie #deutscheinmexiko stelle ich dir Auswanderer vor, die von ihrem Leben in Mexiko erzählen. Wie die Menschen selbst könnten auch ihre Beweggründe, nach Mexiko auszuwandern, nicht unterschiedlicher sein. Ihre Geschichten sollen dich inspirieren und dir eine bessere Vorstellung vom Leben in Mexiko geben. Viel Spaß dabei!
Ich freue mich so, dir heute eine ganz besondere Frau vorstellen zu dürfen, Ariane Vera aus Aguascalientes. Wir haben uns bisher noch nicht persönlich getroffen – zumindest nicht in diesem Leben – dennoch fühle ich mich ihr sehr verbunden und bin jeden Tag aufs Neue inspiriert von ihrer Arbeit und ihrer Persönlichkeit!
Ariane ist Singer-Songwriterin und teilt eine Message über ein offeneres, toleranteres, und präsentes Dasein. Dazu gehören Themen wie der Achtsamkeit gegenüber dem Planeten und allem Leben, wie auch Minimalismus & Glück. Besonders am Herzen liegt ihr der faire und bewusste Konsum von Kaffee. Aufgrund ihrer argentinischen Wurzeln war die lateinamerikanische Kultur und Sprache seit ihrer Kindheit schon immer ein Teil von ihr. In Lateinamerika und Mexiko zu leben, sagt sie, wäre, als ob „ein Samen die Erde gefunden hätte, auf welchem er gedeihen und Früchte tragen kann.“ Bühne frei für Ariane Vera:
Du lebst jetzt schon seit 1,5 Jahren in Aguascalientes in Mittelmexiko. Ich selbst war noch nie dort. Was zeichnet die Stadt denn aus?
Das wohl größte Wahrzeichen der Stadt ist der Cerro del Muerto – eine Hügelkette, die einem schlafenden Menschen gleicht. Hier merkt man sofort den Umgang in Mexiko mit dem Thema Tod – ein Teil des Lebens, vor welchem man keine Angst haben sollte. Kein Tabu, sondern eine Tatsache. Seitdem ich den Tod in mein Leben lasse, lebe ich viel bewusster, viel leichter, viel lebendiger. Ich bin nicht mehr bereit dazu, etwas zu tun, was mich existierend, aber nicht lebendig fühlen lässt.
Meine erste Reise nach Mexiko im Frühjahr 2016 veränderte alles. Ich kam zurück und konnte mit meinem eintönigen Leben in Hamburg im Büro nicht mehr viel anfangen. Außerdem lernte ich auf dieser folgenschweren Reise den Mann kennen, den ich ca 1,5 Jahre später heiratete. Wann warst du das erste Mal in Mexiko? Und was hat die Reise mit dir gemacht?
Das erste Mal war ich 2017 in Mexiko, nach fünf Wochen war ich zwei Wochen in Deutschland, bevor ich nach Argentinien reiste. Es war das erste Jahr, in welchem ich mehr Zeit in Lateinamerika als in Deutschland verbrachte. Ich hab mich danach in Deutschland erstmal oft nicht mehr zurecht gefunden, und fand es sehr traurig, so viele sich beschwerende Menschen um sich zu haben, die doch alles hatten, um glücklich zu sein. Ich hab auch verstanden, dass es nun kein Zurück mehr gab – zu meinem Zuhause in Argentinien und Deutschland fügte sich nun ein Zuhause in Mexiko.
Mit der Entscheidung, mein Leben in Deutschland hinter mir zu lassen und einen „Neuanfang“ in Mexiko zu starten, bin ich anfangs auf viel Kritik gestoßen. „Wieso ausgerechnet Mexiko? Das ist doch viel zu gefährlich dort! Was willst du denn in so einem armen Entwicklungsland?“ Ich bin mir sicher, dass du ähnliche Erfahrungen gemacht hast. Was denkst du, woher rührt dieses einseitige Bild von Mexiko? Und wie bist du mit diesen Reaktionen umgegangen?
Ich habe im Februar im Theater tri-bühne in Stuttgart gesungen. Das Stück heißt Esperanza von Edith Koerber – kann ich allen empfehlen. Es geht um Esperanza, aus Mexiko, die sich auf die Suche nach dem Ursprung der Munition macht, die für viele Tode verantwortlich war. Sie landet in Baden-Württemberg. Wenn ich heute also Kommentare zur Kriminalität bekomme, dann spreche ich das ganz klar aus, weil ich es nicht aushalte, dass so viele uninformierte Urteile über mich prasseln, und ich dann, sobald ich alleine bin, in Tränen darüber ausbreche. Die Welt ist komplex. Alle, die es sich erlauben, über „Entwicklungsländer“ zu urteilen, sollten sich noch einmal ganz genau mit der Geschichte und neo-kolonialen Strukturen auseinandersetzen.
Du und ich, wir haben beide einen Mexikaner geheiratet. Worin siehst du persönlich die große Bereicherung einer interkulturellen Beziehung?
In gewisser Weise war mein Partner, als wir uns in Schottland während meines Vollzeitstudiums dort kennengelernt haben, ein Stück Zuhause. In der für mich anfangs fremden schottischen Kultur, mehr noch, in einem Mix aus Kulturen so vieler internationaler Studierender, was ich sehr bereichernd fand, war er das, was ich kannte. Den Mix aus deutscher und lateinamerikanischer Kultur habe ich von klein auf gelebt – deshalb war es für mich auch nicht so, als würde ich in ein fremdes Land ziehen, sondern in ein anderes Zuhause. Mexiko ist trotzdem in vieler Hinsicht ganz anders als Argentinien, trotzdem gibt es auch viele Gemeinsamkeiten. Es hilft allerdings ungemein, wenn mal Missverständnisse aufkommen, zu erkennen: okay, das sind jetzt zwei Sichtweisen, die aufeinanderprallen. Ich kann da leider echt schwer Seite beziehen, weil ich beides verstehe und irgendwo auch bin. Da steh ich in der Mitte, und lehne mich am besten einfach zurück. Dagegen anzukämpfen, bringt nichts.
In Deutschland mochte ich mein Essen nie scharf und habe schon bei zu viel Pfeffer gejammert. Hier in Mexiko habe ich scharfes Essen lieben gelernt und mittlerweile kann ich die meisten Chilis nach ihrem Geschmack unterscheiden. Wie stehst du zu scharfem Essen?
Ich hatte echt einen beachtlichen Fortschritt auf meiner Skala mit scharfem Essen gemacht, dann war ich zwei Monate in Deutschland auf Tour und habe danach wieder komplett bei 0 angefangen!! Ich wusste gar nicht, dass das möglich ist. Wäre der Lockdown nicht, würden wir sicherlich öfter woanders essen, und ich könnte mich wieder daran gewöhnen, so aber bleibe ich wohl erst einmal auf meiner 0! 😉
Du hast ja in Aguascalientes deinen gut bezahlten Job an einer deutschen Schule gekündigt, um als „Vollzeit Singer Songwriterin“ durchzustarten. Inwiefern hat sich das Leben in Mexiko zu diesem Schritt ermutigt?
Ich war nicht mehr bereit dazu, Interviews und Auftritte abzusagen, weil die Regeln der Schule keine größere Flexibilität zuließen.
Es ist nicht leicht, sich für die Kunst zu entscheiden, weil sie in der Welt, in der wir leben, nicht den gleichen Status hat, wie ein Bürojob. Ich habe mich allerdings schon länger von Erwartungen und Bewertungen, die anderen Menschen angehören, und nicht mir, gelöst. Ich glaube, dass ich nach Mexiko gezogen bin, hat mir einfach gezeigt, dass ich das durchziehen kann, was ich möchte, und nicht viel auf andere Meinungen gebe.
Und – es ja nicht so, dass ich das kopflos von heute auf morgen entschieden habe, ich habe schon immer Musik gemacht, mit Preisen, Auftritten, Interviews, Erfolgen.
Jetzt war der Moment ihr all die Aufmerksamkeit zu geben, die sie verdient.
Als ich in Chiapas mit eigenen Augen gesehen habe, wie der Klimawandel die Kaffeeernten zerstört und die Existenzgrundlage von Kaffeebauern seit 6 Jahren nimmt, hat mich das sehr mitgenommen, und mir gleichzeitig eine neue Aufgabe in den Schoß gelegt. Mit solchen Erlebnissen kommt ehrlich gesagt auch viel Wut hoch. Wie kann das sein?, fragte ich mich, und ich dachte auch, dass es doch nicht sein kann, dass man nichts über die Geschichte des Kaffees weiß. In Chiapas habe ich Studierende gefragt: Was bedeutet euch der Kaffee? Antworten waren zum Beispiel: Familie, Überleben, Tradition, Natur. Die selbe Frage stellte ich Studierenden in Deutschland. Antworten waren: Aufwachen, beste Droge, Freunde treffen. Das schreibe ich jetzt wirklich ganz wertfrei – die Antworten sind genial, weil sie uns zeigen, was zu tun ist.
Also habe ich mir vorgenommen, die Geschichte des Kaffees zu erzählen. Wut kann extrem motivierend sein. Ich habe eine Initiative zum bewussten und fairen Konsum von Kaffee gegründet, und im Januar und Februar in Deutschland viele Vorträge zum Thema Kaffee gehalten. Ein unglaublich tolles Erlebnis! Ich habe so viel Unterstützung bekommen, und so viele tolle und inspirierende Menschen getroffen, die sich einsetzen, und alles tun, was in ihrer Macht steht, um für den fairen und bewussten Konsum von Kaffee zu werben. Ich bin so dankbar dafür. Derzeit schreibe ich ein Buch darüber, um die Geschichte noch viel zugänglicher zu machen – es sind so viele Hände, die zu einer Tasse beitragen, wir sollten sie sehen.
Sich an das Leben in Mexiko anzupassen bedeutet auch, „typisch deutsche“ Verhaltensmuster und Denkweisen abzulegen. Wie siehst du das? In welchen Bereichen fällt es dir leicht, dich anzupassen? Was stört dich eventuell an der mexikanischen Kultur?
Das ist eine wirklich schwere Frage. Ich denke, es ist typisch deutsch, alles planen und kontrollieren zu wollen, hier ist das Leben eher spontan und lässt mehr Raum.
Man kann echt nicht auf deutsche Weise Termine ausmachen, weil man sich dann nur ärgert, wenn sie abgesagt, oder verschoben werden.
Als ich nach Schottland gezogen bin, ist mir aufgefallen, wie deutsch ich eigentlich bin. Hier in Mexiko weiß ich es manchmal nicht, weil alles, was ich mache, automatisch als deutsch eingestuft und bewertet wird, weil mich Menschen aufgrund meines Aussehens sofort in diese Schublade stecken. Einmal wurde ich in einem Interview gefragt und ich konnte mich ziemlich mit der spontanen Antwort identifizieren. Wenn ich arbeite, bin ich deutsch. Wenn ich lebe bin ich lateinamerikanisch. 😉
Mexiko ist so ein unglaublich großes und vielseitiges Land. Welche Orte möchtest du unbedingt noch besuchen?
Wo du Ariane finden kannst: