Reisegefühle zu Mexiko: „Die Brückenbauerin“

Dies ist ein exklusiver Auszug aus dem bald im Adakia Verlag erscheinenden Buch „Reisegefühle“ von Uwe Kirst. Im Juni 2023 hatte ich die große Freude, Uwe und seine bezaubernde Frau Heike bei mir hier in Oaxaca willkommen zu heißen. Zusammen haben wir eine Woche lang Oaxaca entdeckt. Daraufhin sind berührende, tiefgehende, in sich geschlossene Kurzgeschichten für das Buch „Reisegefühle“ entstanden. Viel Freude beim Vorab-Lesen!


Die Brückenbauerin

Sie steht auf der Hochebene, die Beine leicht ausgestellt, in einem japanisch anmutenden ockerfarbenen Beinkleid, dunkelblauweiß gemusterter Bluse, das schwarze Haar vom Wind bewegt. Mit ihrem Smartphone vor dem Gesicht dreht sie ein kurzes Video für Instagram. Eine freiwillige Reporterin für Mexiko und die Leute dort, lebendiges Fenster für wissensdurstige Blicke von außen, denn ihr gelebter Beruf ist Brücken zu erschaffen zwischen Menschen.

Eine reizvolle Frau; frisch, lebhaft, geistig beweglich, unangepasst und doch so harmonisch eingegliedert in ein Gemeinwesen, das sie deswegen schätzt, weil sie dessen Bewohner liebt. Eine, die Begeisterung weckt für Leute, die etwas gestalten, die das, was ist, genauso nimmt, wie es ist. Ohne schulmeisternde Floskeln darüber, wie es »eigentlich zu sein hätte…« Kritiklose Identifikation ist ihr fremd, doch sie akzeptiert und vermeidet zu urteilen, bewahrt dabei ihre innere Positionierung. Mit wenigen Worten erklärt sie das Leben hier, das Sein derer, die dieses Land ausmachen. Frei von endlosen historischen Ergüssen, skizziert sie den Zusammenhang zwischen Geschichte, Tradition und Moderne.

Gelassen berichtet sie, wie auf der Straße, die sie kürzlich befuhr, ein offenbar zugekiffter Mexikaner, auf der Ladefläche eines Pick-ups stehend, mit einer Handfeuerwaffe um sich schoss. Dabei zeigt sie schmunzelnd auf das Einschussloch auf einer Hinweistafel vor einem sorgsam restaurierten toltekischen Mauerrest in Dainzú. Schießübungen.

Ich Dainzu blog - Reisegefühle zu Mexiko: "Die Brückenbauerin"
Die archäologische Stätte Dainzú ist eine meiner liebsten Ruinen in Oaxaca und liegt auf dem Weg nach Hierve el Agua und dem Sonntagsmarkt Tlacolula,

Ihr Ziel: Menschen zu bestärken, ihren Weg zu erkennen und ihn zu gehen; Mut zu machen, ohne blinde Begeisterung zu produzieren, die jemanden in sein Unglück treiben kann. Brauchbare Ansätze zu entwickeln, wie aus Fähigkeiten Ideen und aus diesen, geschäftliche Pfunde werden können. Beflügeln und gleichzeitig zusammenbringen, was nützlich ist. Sie belässt die Leute, wie sie sind, bestärkt sie aber in dem, was in ihnen steckt; lässt sie groß sein, obwohl sie es teilweise erst durch sie werden.

Wer über den Markt von Tlacolula de Matamoros streift, kann ihm begegnen: Dem Mezcalero Jerónimo, der nach Impetus und Know-how-Transfer mehr aus dem Brennen und Verkaufen seines hochwertigen Mezcal gemacht hat. Er leitet mittlerweile Exkursionen für Wissensdurstige über die Herstellung dieses traditionellen Brandes aus reifen fermentierten Agaven ausgewählter Sorten und hält sachkundige Vorträge. Eine Saat, die auf fruchtbaren Boden traf. Die junge Gastronomin Ángeles aus San Sebastián Etla gehört ebenfalls zu denen, die die angebotenen Brücken erfolgreich betreten haben.

Jeronimo nlog - Reisegefühle zu Mexiko: "Die Brückenbauerin"
Jeronimo Gutierrez, Mezcalero meines Vetrauens! Immer wieder eine Freude, ihn auf dem Sonntagsmarkt in Tlacolula anzutreffen.

Wer mit ihr mexikanische Straßen und Plätze durchstreift, erntet Lächeln, Winken, munteres Nicken und viele Gespräche. Sie zeigt Gringos diese Welt wie eine Mexikanerin, obwohl sie selbst eine Gringa ist, und berichtet mit sachlicher Begeisterung über Land und Leute. Beseitigt damit Vorurteile, vermeidet tumbes Entzücken für das Fremdländische, aber veranschaulicht Details in einer Genauigkeit, wie sie sonst niemand vermittelt.

Wer Begriffe, Traditionen und Orte googelt, landet oft auf ihrem Blog – moving2mex. Dort steht kein Satz ohne Sinn oder Information, dabei leicht und eingängig formuliert. Berichte über Geschehenes, handelnde Personen, Schicksale und zuweilen wundersames Wissen. Pragmatische Ratschläge, die Immenses an Geld und Zeit sparen und schmerzhafte Irrtümer verhindern. Weit weg indessen von den siebengescheiten Belehrungen mancher Aufgepasst-Seiten: »Wir wissen etwas, das keiner weiß und allein wir können allen genau sagen, was richtig ist.« Ein Gespräch mit ihr vermittelt mehr Verständnis für dieses Land, als ein Stapel Reiseführer es vermag.

Es ist angenehm, in ihrer Gesellschaft unterwegs zu sein, den vielfältigen Gedanken zu lauschen, durchaus unsortiert, damit aber echt und ohne Kalkül. Unprätentiös gekleidet, stets passend zum Anlass, bewegt sie sich, wie sie sagt, durch ihr Dorf, als jemand, der hierhergehört. Sie ist sich nicht zu fein, den schweren Garrafon mit Trinkwasser fünfzig Meter weit zu tragen. Mit hoher Disziplin und absolut unmexikanischer Pünktlichkeit entwickelt sie unbändige Energie für ihr Leben; trotz herber Nackenschläge bleibt sie herzlich und nachsichtig – selbst denen gegenüber, die es nicht verdienen.

Uwe Ich Tlacolula blog - Reisegefühle zu Mexiko: "Die Brückenbauerin"
Zwei glückliche Menschen auf dem Sonntagsmarkt in Tlacolula, die voller Vorfreude auf ihr Barbacoa warten!

Als eine Frau, die sich ernst nimmt, gehört ihr die Welt. Sie ist weder Thüringer Jugendliche, noch studierte Hamburger Angestellte, kaum mexikanische Exildeutsche – obwohl sie das alles einmal war oder als das heute gilt. Ihr Lachen ist Naturereignis, macht sie hinreißend. Das fiel einem Berufsfotografen auf, der jüngst ein gewinnendes Porträt in Standbild und Video geschaffen hat. Weltbürgerin mit Wissensdurst, drängender Neugier und sinnvollen Ideen – das ist die Brückenbauerin aus San Sebastián Etla.

Wohin es sie jemals verschlagen wird: Stets wird sie sie selbst sein; eine Frau, die souverän ihr Leben entscheidet. Das macht sie zu der Person, der andere Vertrauen schenken und über deren geschlagene Brücken mancher in Oaxaca so bereitwillig geht.


Foto Uwe Kirst 1 - Reisegefühle zu Mexiko: "Die Brückenbauerin"

Uwe Kirst ist in Deutschland einem großen Publikum als Redner bekannt und lebt in Mexiko. Er schreibt seit Jahren Prosa. In seinen Geschichten pflegt er die klassische Form der Short Story, so in »Bella und Paul« sowie in diversen Anthologien. Ein Roman ist in Vorbereitung. Sein zweiter Band mit Erzählungen, »Sommerwege«, der soeben im Adakia Verlag Leipzig erschienen ist, wird derzeit ins Spanische übersetzt. Dieser Text, den moving2mex mit Erlaubnis von Autor und Verlag exklusiv vorab veröffentlichen darf, gehört zum Manuskript seines neuen Buches »Reisegefühle«, das demnächst, erscheinen wird.

Weitere lesenswerte Werke von Uwe Kirst:

Bella und Paul Buchcover 668x1024 - Reisegefühle zu Mexiko: "Die Brückenbauerin"
Sommerwege Buchcover - Reisegefühle zu Mexiko: "Die Brückenbauerin"
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