Vor Kurzem erreichte mich eine ganz besondere eMail von Reinhold, einem meiner treusten Leser! Da ich wusste, dass er Ende letzten Jahres mit dem Chepe im Kupfercanyon unterwegs war (ein Traum, den ich mir bisher noch nicht erfüllt habe), bat ich ihn, mir über seine Reise zu erzählen. Und dann hatte ich auf einmal diese wunderbare eMail mit detaillierten Infos und persönlichen Eindrücken untermalt von wunderschönen Fotos von Reinhold im Postfach. Damit habe ich nicht gerechnet! Tausend Dank dafür!
Da ich dir seine Erfahrungen über die Tarahumara (auch Rarámuri genannt) und die Zugfahrt im Chepe von Chihuahua nach Los Mochis nicht vorenthalten möchte, habe ich seine eMail kurzerhand in einen Gastbeitrag verwandelt.
Kurz vorweg: Die Barranca del Cobre, auch Kupfercanyon genannt, ist eine gewaltige Gebirgsformation im Norden Mexikos, im Bundesstaat Chihuahua und ist viermal so groß wie der viel berühmtere Grand Canyon in Arizona!
In den dünn besiedelten Bergen der Sierra Madre lebt das indigene Volk der Tarahumara oder Rarámuri, die auch als die besten Langstreckenläufer der Welt bekannt sind!
Falls du Netflix hast, dann schau dir unbedingt die bewegende Doku „Lorena – Die Läuferin“ an, um mehr über das Leben der Rarámuri zu erfahren!
Aber nun zu Reinholds Reisebricht:
„Mein Highlight 2019: Ein Zugfahrt mit dem Chepe von Chihuahua nach Los Mochis! Wie ich bei der Reisevorbereitung festgestellt habe, wurde das Zugsystem im letzten Jahr umgestellt: Es verkehrt ein Chepe Express (mit hochwertigeren Sitzplätzen und Panorama-Fenstern), der allerdings nur einen Teil der Strecke fährt und nicht so oft hält. Ansonsten gibt es den Chepe Regional, den wir genommen haben. „Wir“ heißt: Ich sowie eine ehemalige Kollegin aus Monterrey, die sich spontan bereit erklärt hat, mich auf der Fahrt zu begleiten.
Abfahrt war in Chihuahua um sechs Uhr morgens. Das Problem war nur, dass in der ganzen Stadt kein einziger Hinweis auf den Bahnhof oder auf den Chepe zu finden war. Da bin ich als „ordnungsliebender“ Deutscher wohl zu verwöhnt. Wir waren trotzdem pünktlich da und es gab an den Schaltern auch keine langen Wartezeiten, sodass alles wie am Schnürchen klappte.
Der aufgehenden Sonne entgegen, rappelte der Zug zunächst durch das Flachland, jedoch nach und nach konnte man die Veränderung in der Vegetation feststellen und es wurde gebirgiger. Die Sierra Madre präsentiert sich dann schließlich als eine gigantische Landschaft aus Fels und Pinien. Unser Halt war Creel, ein Zentrum der Rarámuri-Kultur.
Ich hatte ein wunderschönes Hotel ganz in Bahnhofsnähe gebucht: La Estación*. Kann ich nur empfehlen. Liebevoll mit allerhand Hinweisen auf den Chepe eingerichtet, gemütlich, ruhig, sauber, rustikal, nette Leute am Empfang.
Das mit viel Liebe zum Detail eingerichtete Hotel „La Estacion„* in Bahnhofsnähe macht den Aufenthalt in Creel unvergesslich!
Eigentlich hatte ich vor, in Creel einen Trip mit der Agentur „3 Amigos Private Adventures“ zu buchen, jedoch hat uns das Hotel einen Guide angeboten, der mit uns beiden eine 5-stündige Tour durch die Gebiete der Rarámuri machen würde. Das hat uns überzeugt und wir haben es nicht bereut. Über unwegsame Strecken und durch vollgelaufene Bachläufe haben wir an den Cascadas Cusaráre Halt gemacht. Dort haben wir (ohne weitere Touristen) viel Zeit verbracht, die Natur genossen und dem Rauschen der Wasserfälle und der Stille der Pinienwälder gelauscht.
Schon allein die Fahrt zu den „Cascadas Cusaráre“ ist ein Erlebnis für sich!
Die felsige Landschaft der Sierra Madre ist fast menschenleer.
Viele Rarámuri verkaufen hier ihre Handwerkskunst, vor allem die Puppen (muñecas) und Textilien. Es sind, anders als in Chichen Itzá oder in Tulúm, keine aufdringlichen Händler, sondern einfache Frauen und Kinder, die lediglich ihre Waren auslegen und ansonsten kein Wort sagen. Es ist mir aufgefallen, dass die Straßenhändler nicht aktiv verkaufen, sondern warten, bis man etwas bei ihnen kauft und dann den Preis nennen. Es sind auch nur Frauen und Kinder. Man sieht keine Männer an den selbstgebauten Ständen und Läden.
Leider sind die allermeisten von ihnen wie viele andere Indigene dem Alkohol verfallen und vertreiben sich die Zeit mit anderen Männern beim Trinken und Spielen.
Viele Rarámuris verdienen ihr Geld mit dem Verkauf farbenfroher Handwerkskunst.
Später, zurück in Monterrey, habe ich eine Professorin für Sozialwissenschaften kennengelernt, die sehr viel über das Leben und die Kultur der Rarámuri forscht und regelmäßig dort in Sozialprojekten mitarbeitet. Sie hat mir sehr viel Interessantes über diese indigenas erzählt und ich habe viel gelernt. Mir ist zum Beispiel aufgefallen, dass keiner von ihnen lächelt, vielmehr wirken alle, die ich gesehen habe, ernst und reserviert. Gabriela, die Professorin, hat mir erklärt, dass dies wohl in der Historie der Rarámuri begründet ist: Nachdem sie sich nach Einfall der Konquistadoren in die Berge der Sierra Madre zurückgezogen haben, hatten sie keinerlei Kontakt zu den Europäern. Diese Abgeschiedenheit, dieses Misstrauen und diese kühle Reserviertheit ist bis heute zu spüren.
Wer sich mit der Geschichte der Raramuris beschäftigt, versteht, warum dieses indigene Volk eher reserviert und zurückhaltend wirkt.
Für mich war es eine einmalige und spannende Erfahrung, diese Menschen zu sehen und ein Stück weit etwas von ihrer Kultur zu erfahren. Da ich ziemlich stark an der Geschichte und Kultur Mexikos interessiert bin, verschlinge ich so ziemlich alle Information, die ich bekommen kann. Die zwei Tage dort in der Sierra Madre haben mich mal wieder etwas auf den Boden der Realität zurückgeholt.
Ich meine damit, dass wir hier in Europa so verdammt verwöhnt sind von allen Annehmlichkeiten und allem Komfort, dass wir uns ein einfaches Leben wie dieses gar nicht vorstellen können. Und wir haben heute leider auch sehr viel von unserer Naturverbundenheit eingebüßt.
Das habe ich ganz extrem verspürt, als ich ein paar Tage später in dem Moloch Monterrey gelandet bin, mit seinem endlosen Verkehr, dem Häusermeer, den vielen gestressten Menschen, den Shopping-Malls, der Werbung und der nervenden Musik, die dich den ganzen Tag verfolgt. Ein krasser Gegensatz, den ich dort verspürt habe.
Als krasser Gegensatz zur Ruhe und Abgeschiedenheit in den Bergen der Barranca de Cobre endete meine Reise in der Industriestadt Monterrey.
Und ich stelle fest, dass die Rarámuri eine Menge von dem erhalten haben, was uns mit unserer Oberflächlichkeit und unserem konsumorientierten Materialismus verloren gegangen ist. Nun, ich möchte nicht mit diesen Leuten tauschen und ich schätze das Leben, das ich glücklicherweise führen darf. Aber diese Reise in die Sierra Tarahumara hat mich irgendwie wieder geerdet und eingenordet.
Blick über die Schluchten in Divisadero!
Ein Höhepunkt ist natürlich der Ausblick in die endlosen Schluchten in Divisadero. Wir waren mit unserem Guide zum Glück bereits früh am Morgen dort, bevor die Touristenströme einfallen. Da kannst du eigentlich nur voller Ehrfurcht dastehen und den Anblick genießen.
Die Zip-Line quer über den Cañon habe ich mich nun nicht getraut, da sind wir lieber mit der Seilbahn auf die andere Seite der Schlucht gefahren. Das Ganze wird natürlich als Touristenattraktion weiter ausgebaut und wie ein kleiner Abenteuer-Park angepriesen. Es sind wohl weitere Hotels und ein kleiner Flughafen geplant, was der Landschaft sicher nicht guttun wird.
Bei dieser Zugfahrt wird jeder zum Eisenbahn-Fan!
Am letzten Tag sind wir dann mit dem Chepe von Creel durch die Kupferschlucht Richtung Los Mochis gefahren. Nun, ich bin eigentlich kein Eisenbahn-Fan, aber wenn du dort zwischen den Waggons stehst und bei offenem Fenster die gigantische Landschaft an dir vorbeizieht, begleitet vom Schnauben, Quietschen und Dampfen der alten Diesel-Lok, dann ist das schon was Tolles! Atemberaubende Landschaft und spektakuläre Streckenabschnitte mit unzähligen Brücken, Tunnels und sogar 180°-Queren. Und dann, in Sinaloa, wird es immer grüner, satter und feuchter. In manchen Gegenden sah es aus wie in Schottland oder Irland.
Kurz vor „Los Mochis“ wird es immer grüner, satter und feuchter.
Beim Verlassen des Bahnhofs um 22 Uhr habe ich dann sofort den klimatischen Unterschied gemerkt. Von den eher kühlen erfrischenden Temperaturen in der Sierra hier in die drückende schwüle Hitze des pazifischen Flachlands. Da es so heiß war und Los Mochis nun wirklich nicht viel zu bieten hat, haben wir dort am nächsten Tag nur den Jardin Botanico de Sinaloa angeschaut. Am Nachmittag ging es dann mit dem Flieger zurück nach Monterrey.
Für mich und auch für meine mexikanische Freundin Brenda, die mich glücklicherweise begleitet hat, war es eine tolle Reise in eine andere Welt und eine andere Kultur. Mein Highlight 2019, von dem ich immer noch zehre…“
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