Reisegefühle zu Mexiko: “Das Gürteltier”

Über eine ungewöhnliche Begegnung mit einem Gürteltier auf dem Sonntagsmarkt in Tlacolula, Oaxaca.

Dies ist ein exklusiver Auszug aus dem bald im Adakia Verlag erscheinenden Buch “Reisegefühle” von Uwe Kirst. Im Juni 2023 hatte ich die große Freude, Uwe und seine bezaubernde Frau Heike bei mir hier in Oaxaca willkommen zu heißen. Zusammen haben wir eine Woche lang Oaxaca entdeckt. Daraufhin sind berührende, tiefgehende, in sich geschlossene Kurzgeschichten für das Buch “Reisegefühle” entstanden. Viel Freude beim Vorab-Lesen!


Das Gürteltier

Geräusche sind Leben und Genuss. Zumindest die auf einem mexikanischen Markt. Der stupide wirkende, hämmernde Ton, der kaum wahrnehmbare Texte begleitet und ab einer gewissen Entfernung komplett ersetzt, ist damit nicht gemeint. Der pflanzt sich eher in Ortschaften fort – als Begleiterscheinung aller erdenklichen Fiestas, von denen es ungezählte gibt. Hörbar insbesondere in der Nacht, deren Stille zuweilen durch Donnergrollen, ferne Salven oder schrille Tierlaute gestört wird.

Die Geräusche eines Marktes sind lebendig, menschliche Spuren von Lust, Freude und Heiterkeit, selbst, wenn recht selten, der eine oder andere Streit durchklingt. Kinder sorgen für das helltönende Grundrauschen, mancher handwerkliche Laut klingt auf, so, wie das Brutzeln und Zischen an Kochstellen. Immer aber überwiegt das Lachen, männlich dunkel, spottend hell, herzhaft heiter, lockend weiblich. Die Menschen mögen ernsthaften Streit nicht; weder finstere Mienen noch Kommunikation mit schulmeisterlichem oder mürrischem Tenor. Das Wort no wird gemieden, jede Ablehnung gewandt umschrieben – äußerst problematisch für deutsche Gewohnheiten.

Die sorgfältig ausgebreiteten Gegenstände, die feilgeboten werden, sind filigran bis rustikal – manchmal ungewohnt in Farbe und Form – sind Tand und Preziosen, Massenware beziehungsweise Unikate. Aus Plastik oder schmückend bemaltem und gebranntem Ton; aus meisterlich gedrechseltem und poliertem Holz, feinsten Stoffen mit traditionellen Stickereien. Zusätzlich schlichte T-Shirts und Blusen mit Aufdruck, Käppis.

Guerteltier - Reisegefühle zu Mexiko: "Das Gürteltier"
Auf dem Markt in Tlacolula kann man so ziemlich alles kaufen, auch ausgestopfte Gürteltiere.

Dazwischen ein Stand mit tacos und chips, beide mit salsas, Mayonnaisen und gemahlenen Chilis. Oft in trauter Gemeinsamkeit mit churros, knusprig gebackenen Teigfingern, die warm, mit Chilipulver oder Zucker bestreut, zu den kulinarischen Highlights des Landes gehören. Daneben gibt es pulque, ein erfrischendes fermentiertes Getränk, stets bestens gekühlt, ein altes Rezept der Ureinwohner, zu unrecht zugunsten zeitgemäßerer refrescos immer seltener zu entdecken. Unvergleichlich das Gebäck; in reichlicher Vielfalt, andersgeartete Formen aus teils unbekannten Teigmischungen geschaffen, verschiedenerlei Geschmacksbedürfnisse bedienend, niemals aber ungenießbar.

Ein Konterschlag für jegliche pflanzenbasierte Ernährungsweise sind die knackig knusprigen Schwarten vom cerdo oder die mit Chili scharf gerösteten Heuschrecken. Zugleich darf der pastor nirgendwo fehlen: senkrecht stehende Spieße mit aufgesteckten Fleischscheiben, von denen das Gegarte fein heruntergeschnitten und zusammen mit salsas, Gemüse und Reis verkauft wird. Dieser Name ist für deutschsprachige Genießer gewöhnungsbedürftig, obgleich der walzenförmige Fleischspieß gewisse Assoziationen erlaubt, die indes nicht im Kulinarischen liegen.

Was fehlt, aber von niemandem vermisst zu werden scheint, sind Schilder, die auf biologischen Anbau hinweisen oder ähnliche, in manchen Teilen der Welt so wichtig gewordene Siegel und Etiketten mit wortreichenden Beteuerungen. Der gegarte Maiskolben, elote, in vielfältigen Geschmacksrichtungen, kommt oft vom Feld nebenan, die Gemüse aus der Umgebung und das Obst ebenso, sofern es nicht aus einem anderen Teil des Landes stammt, weil es dort früher heranreift. Tiere zu Nahrungszwecken begegnen einem nicht selten beim Spaziergang durch die Siedlungen, eingefriedet, doch unter freiem Himmel.

Von den Lebewesen, die hier gegessen werden, wird kaum etwa verschwendet, der Respekt vor dem lebenden Nahrungsmittel ist ein Grund dafür. So werden die unübertrefflichen Fleischgerichte meist aus Fleischstücken mit Knochen zubereitet. Die in anderen Regionen der Welt so bevorzugten, erlesenen Teile eines Schlachttieres sind vorhanden, aber werden kaum favorisiert. Man isst, was vorzüglich schmeckt, nicht, was Mode oder Dünkel diktieren. Und wer von den Garköchen und Händlern mit Lebensmitteln aller Art nicht erste Qualität bietet, steht in kürzester Zeit ohne Käufer da.

Die handelbaren lebenden Tiere, vom Küken angefangen, über die Hennen, Hähne bis zum Truthahn, sind quicklebendig und sichtbar gesund. Sonst ist damit kein Geschäft zu machen. Vergeblich halte ich diesmal Ausschau nach exotischeren essbaren Spezies, wie gewissen Raupenarten, die als Delikatesse, am liebsten
knusprig gegrillt, in manchen Regionen verzehrt werden, nachdem sie von den Bäumen abgesammelt worden sind. Das ist saisonal abhängig, die pure Natur.

Hunde oder Katzen dienen in Mexiko eher nicht dem Verzehr. Im Gegenteil: Neben vielen Marktständen, desgleichen an Hauswänden und Zäunen in Dörfern und Städten, stehen Schalen und Näpfe mit Wasser für die wildlebenden Kreaturen, die zuweilen von ausnehmender Schönheit sind. Fette Hunde wird das suchende Auge kaum erspähen. Das findet sich erst wieder in Mexico-City in den Arealen wohlhabender Stadtbewohner.

Da tritt eine Frau auf mich zu, ein lebloses Tier unterm Arm, und hält es mir anbietend mit einem breiten Lächeln entgegen. Glänzende Schuppenringe, ein schnabelförmiges Maul: So nah ist mir ein Gürteltier bisher nie gekommen. Für einen Augenblick bin ich nicht sicher, ob es zum Verzehr oder zur Dekoration meines
Hausstandes angeboten wird.

Als ich den Markt verlasse, kenne ich zwar die Antwort, indessen ist in Mexiko nichts gänzlich unmöglich.


Foto Uwe Kirst 1 - Reisegefühle zu Mexiko: "Das Gürteltier"

Uwe Kirst ist in Deutschland einem großen Publikum als Redner bekannt und lebt in Mexiko. Er schreibt seit Jahren Prosa. In seinen Geschichten pflegt er die klassische Form der Short Story, so in »Bella und Paul« sowie in diversen Anthologien. Ein Roman ist in Vorbereitung. Sein zweiter Band mit Erzählungen, »Sommerwege«, der soeben im Adakia Verlag Leipzig erschienen ist, wird derzeit ins Spanische übersetzt. Dieser Text, den moving2mex mit Erlaubnis von Autor und Verlag exklusiv vorab veröffentlichen darf, gehört zum Manuskript seines neuen Buches »Reisegefühle«, das demnächst, erscheinen wird.

Weitere lesenswerte Werke von Uwe Kirst:

Bella und Paul Buchcover 668x1024 - Reisegefühle zu Mexiko: "Das Gürteltier"
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