Wenn wir an den Tag der Toten in Mexiko denken, haben die meisten von uns bunte Totenschädel, große Umzüge und üppig geschmückte Altäre im Kopf. Doch die Traditionen variieren im ganzen Land, und jede Region bringt ihre eigenen Rituale, Symbole und Bedeutungen mit.
S’ui K’ien, der Tag der Toten in Huautla de Jimenez, ist eine Feierlichkeit der Mazateken, die auf eine lange Geschichte zurückblickt und tief verwurzelt in der Gemeinschaft dieser Region in den Bergen Oaxacas ist. Ich durfte diese Zeit hautnah erleben und war von der Intensität und Hingabe der Einheimischen zutiefst beeindruckt.
Die Vorbereitungen für S’ui K’ien, was offiziell vom 27. Oktober bis 3. November gefeiert wird, beginnen schon viele Wochen im Voraus. Die Mazateken pflegen ihre Traditionen mit voller Hingabe, und es ist üblich, dass sie sich gegenseitig tatkräftig unterstützen. Wer um die Zeit der Festlichkeiten ein Haus besucht, bringt stets Geschenke mit – sei es Essen, Kerzen oder andere Gaben. Auch auf dem Friedhof am Grab der Verstorbenen herrscht ein ständiger Austausch von Kerzen, Snacks usw. Die Feierlichkeiten sind durchdrungen von einem tiefen Gemeinschaftssinn. Die Atmosphäre ist geprägt von einem ständigen Geben und Empfangen.
Während dieser Zeit verwischen die Grenzen zwischen Leben und Tod. Ein Jahr lang warten die Einheimischen auf ihre verstorbenen Liebsten, die sich zu den Festlichkeiten des S’ui K’ien unter die Lebenden mischen und mit ihnen gemeinsam essen, tanzen und singen.
Die Altartradition der Mazateken
Ein zentraler Bestandteil von S’ui K’ien ist der Altar, der voller Hingabe und Respekt für die Verstorbenen und ihren lang ersehnten Besuch errichtet wird. Bei meinem Besuch in Huautla hatte ich das Privileg, gemeinsam mit der Familie unseres Guides Manuel von Experiencias Magicas Huauatla einen Altar zu bauen. Wir begannen mit der Dekoration aus leuchtend orangenen Cempasuchil-Blumen, die den Weg der Seelen erhellen sollen. Fotos, reichlich Essen und die für die Region typischen gelben Wachskerzen fanden ihren Platz. Ein besonderes Element, was ich so nicht aus Oaxaca kenne, war das „pan de muertos“, das in Form einer Person gebacken wird und die Verstorbenen repräsentiert.
Nachdem die Fotos ihren Platz gefunden hatten und der Bogen aus Schilfrohr angebracht war, trat Doña Cristina, die Mutter unseres Guides, vor den Altar. Sie verbrannte Copal Räucherwerk und aktivierte den Altar, während sie auf ihrer einheimischen Sprache Mazatekisch betete und sang. Mit dem herben Duft des Copals, der den Raum füllte, hieß sie die Verstorbenen offiziell willkommen. Anschließend tanzten wir alle vor dem Altar – genau das, so erklärte sie, sei es, was die Verstorbenen von uns wünschen: dass wir das Leben feiern, tanzen und lachen, wenn sie uns besuchen. Durch diese gemeinsamen Momente können auch die Seelen der Verstorbenen für kurze Zeit die Freude und das Leben erneut spüren.
Diese Erfahrung war für mich ein lebendiges Beispiel für die Verbindung zwischen den Welten der Lebenden und Toten, eine Brücke aus Freude, Tanz und Erinnerungen, die den mazatekischen Altar in Huautla zu einem wahrhaft besonderen Ort macht.
Die tanzenden Huehuentones
Ein weiteres beeindruckendes Ritual der Mazateken sind die huehuentones – maskierte Tänzer, die für sieben Tage ihre eigene Identität ablegen, um ihren Körper den Seelen der Verstorbenen zu schenken. Die Feierlichkeiten beginnen am 27. Oktober mit einer Zeremonie auf dem Friedhof, bei der die Schamanen die Götter um Erlaubnis bitten, die Seelen der Verstorbenen empfangen zu dürfen.
Über die nächsten Tage hinweg tanzen die huehuentones jede Nacht durch die Straßen von Huautla und besuchen die Häuser der Familien, die voller Vorfreude auf sie warten. Denn in jedem der maskierten Tänzer steckt auch die Seele eines verstorbenen Familienmitglieds.
Die Lieder, die die huehentones auf Mazatekisch singen, sind sehr rythmisch und animieren schnell zum tanzen. Es gibt dabei kein richtig oder falsch, jeder tanzt zur Musik, wie er es fühlt. Man sagt, dass die Liedtexte, die jeder mitsingen kann, direkt von den Verstorbenen kommen.
Nach sieben Tagen legen die huehuentones feierlich ihre Masken ab und verabschieden sich von den Seelen, um ihre eigene Identität wieder anzunehmen.
Für mich war es eine faszinierende und auch ein wenig verunsichernde Erfahrung, mit den maskierten huehuentones durch die Nacht zu tanzen, denn die Masken lassen keine Mimik erkennen, was das Mystische und irgendwie auch Fremde dieser Tradition noch verstärkt.
Die Velada auf dem Friedhof
Das absolute Highlight meines Aufenthalts in Huautla war die Nacht vom 1. auf den 2. November auf dem Friedhof. Ich hatte erwartet, dass die Stimmung durch den Kerzenschein und die besondere Hanglage des Friedhofs magisch sein würde. Doch was mich wirklich überraschte, war die wohltuende Wärme der gelben Bienenwachskerzen, die auf und um jedes Grab aufgestellt waren.
Trotz der kühlen Nächte um diese Jahreszeit herrschte auf dem Friedhof eine angenehme, spürbare Wärme, die das Gefühl der Anwesenheit der Verstorbenen noch verstärkte.
In Huautla ist es Tradition, dass die Familien die Nacht auf dem Friedhof verbringen, um ihre Verstorbenen zu empfangen, die an diesen besonderen Tagen zurückkehren. Der Tag der Toten ist hier die bedeutendste Zeit des Jahres. Familien, die oft weit verstreut leben, kommen zusammen, um gemeinsam zu essen, zu lachen und alte Geschichten auszutauschen. Diese Atmosphäre der Gemeinschaft und Verbundenheit ist besonders in der stillen, aber lebendigen Nacht auf dem Friedhof intensiv zu spüren.
Was du sonst noch in Huautla machen kannst
Neben den Tag der Toten Aktivitäten gibt es noch viele weitere, die du entweder auf eigene Faust oder mit geführten Touren erleben kannst. Hier meine Highlights:
- Casa de Maria Sabina: Die Familie der berühmten Schamanin, die der westlichen Welt in den 70er Jahren die Türen zum Heilen mit psychedelischen Pilzen öffnete, betreibt in Huautla ein kleines Museum mit Fotografien, Kleidern und weiteren Gebrauchsgegenständen von Maria Sabina. Das Museum kannst du leicht auf eigene Faust besuchen.
- Grab von Maria Sabina: Auf dem Hauptfriedhof „Panteón Grande“ befindet sich das Grab von Maria Sabina. Wenn du den unteren Eingang zum Friedhof nimmst, über die Straße „cam. a Mazatlan“, stößt du auf der linken Seite auf ein Schild mit der Aufschrift „Aqui reposa la Diosa de los niños santos Maria Sabina“ (Hier ruht die Göttin der „niños santos“ Maria Sabina). Einfach die Treppen hochlaufen, und ihr Grab befindet sich auf der linken Seite.
- „Velo de novia“ Wasserfall: Eins der beliebtesten Fotomotive in Huautla. Den Wasserfall kannst du auch gut mit den öffentlichen Transportmitteln oder sogar zu Fuß erreichen.
- Grutas de Eloxochitlán de Flores Magón: Mein Highlight der Outdoor Abenteuer in Huautla ist die Höhlenexpedition in den „grutas de Elox“, die du mit den erfahrenen Guides von Experiencias Magicas Huautla buchen oder bei meiner 5-tägigen Huautla-Reise erleben kannst.
- Cerro de adoracion: Vom Maria Sabina Museum aus empfiehlt sich eine Wanderung von ca. 40 Minuten zum „Cerro de la adoracion“ – dem heiligen Berg der Mazateken – um Inne zu halten und chikon tokoxo, dem wichtigsten Gott und Schutzpatron der Mazateken – zu danken und um Hilfe zu bitten. Um mehr über die mazatelische Kultur und Kosmovision zu erfahren, empfehle ich eine geführte Wanderung.
- Galeria Casa de Adobe: Eine kleine, aber feine Kunstgalerie mit wechselnden Ausstellungen von mazatekischen Künstlern. Man spürt, wie viel Leidenschaft und Herz der Gründer Elias in dieses Communityprojekt steckt.
Unterkünfte in Huautla de Jimenez
- Rancho San Lorenzo*: Wenn du es mehr in der Natur magst, abgeschieden vom Trubel der Innenstadt, dann sind die Cabañas der Rancho San Lorenzo genau das Richtige für dich. Die rustikalen, aber sauberen und gut ausgestatteten Häuschen bieten sogar exzellentes Starlink Internet und eignen sich für einen längeren Aufenthalt. In nur 15 Minuten läufst du in die Stadt und kannst gleichzeitig die Stille und Abgeschiedenheit der Natur genießen. Hier werden auch Zeremonien von einer erfahrenen Schamanin angeboten.
- El Rinconcito: Direkt gegenüber vom Markt im Zentrum von Huautla befindet sich das Hotel El Rinconcito. Ein einfaches, aber sauberes und mit dem Nötigsten ausgestattetes Hotel – das beste dieser Art in Huautla. Eine Nacht im Doppelzimmer kostet ca. 500 Pesos. Dort habe ich selbst schon übernachtet und kann es empfehlen.
- Hotel ENPI: Auch das Hotel ENPI liegt im Zentrum Huautlas und bietet das Nötigste, um ein paar Nächte hier zu verbringen. Kein Luxus, aber sauber und praktisch. Hier habe ich selbst schon ein paar Nächte verbracht.
Wie kommst du nach Huauta de Jimenez?
Von Mexico City aus fahren AU Busse („Billiglinie“ von ADO) bis nach Huautla. Die Fahrt dauert etwa 7 Stunden und kostet ca. 450 Pesos (ca. 23 Euro).
Auch von Oaxaca City aus kommst du gut nach Huautla. Hier fahren verschiedene Kleinbusse, ich empfehle Transportes Maria Sabina. Je nach Wetterlage und Verkehr dauert die Fahrt 6 bis 8 Stunden. Es geht durch kurvenreiche Gebirgsketten und verschiedene Klimazonen. Eine durchaus anstrengende Fahrt, aber es lohnt sich!
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Maria Sabina - Botin der heiligen Pilze
Ein Buch über das Leben von Maria Sabina, Schamanin aus Huautla de Jimenez, die mit psychoaktiven Pilzen aus der Region heilte und als Erste der westlichen Welt Einblicke in die Welt der Magic Mushrooms gewährte. Ein faszinierendes Buch mit Einblicken in das Leben einer bemerkenswerten Frau und die Spannungen zwischen traditionellen und modernen Weltanschauungen.